Ist das Stativ wirklich nur noch ein Utensil für Langzeitbelichter und Relikte aus der guten alten Zeit? Oder unterscheidet es die Fotografie von der Knipserei. Fragen Sie im Zweifel Ihren Währungshüter von Nebenan: Stabilität tut jedem gut!

Fangen wir gleich mal mit den offenkundigen Nachteilen eines Stativs an:

  • es ist schwer
  • es ist sperrig
  • es sorgt für kalte Hände bei Minusgraden
  • es ist natürlich nicht kostenlos zu haben
  • es muss zuerst aufgebaut und ausgerichtet werden
    • was Zeit kostet
    • und einen evtl. mal um ein gutes Bild bringt, da das Motiv die Flucht ergriffen hat oder das Licht inzwischen schlechter geworden ist

Stimmt alles, gar keine Frage. Und solange man ein Stativ einsetzt, wird man sich mit jedem dieser Nachteile auseinandersetzen müssen (Ausnahme: gegen die kalten Hände empfehle ich einen Besuch im Baumarkt: Moosgummi-Matten kaufen, ein Stativbein damit umwickeln, mit Isolierband verkleben und das Stativ künftig an diesem Stativbein tragen). Und weil die Fotografie ein Hobby ist, das man auch mit einer gewissen Faulheit betreiben kann (weshalb die Hersteller gutes Geld mit neuen Gadgets verdienen), verzichtet mancher lieber ganz auf das Stativ.

Aber den oft aufgeführten Argumenten von sechsstelligen ISO-Werten und Bildstabilisatoren, die das Stativ angeblich überflüssig machen, kann und will ich mich nicht anschließen. Im Gegenteil.
Jeder Euro, den man in teure Ausrüstung investiert hat, ist ein verschwendeter Euro – wenn man der teuren Ausrüstung keine stabile Basis geben kann. Eine Ausrüstung für 10.000 Euro kann die Grenzen des machbaren zwar etwas verschieben, aber selbst eine Ausrüstung für das Doppelte kann sie nicht aufheben.
Gehen wir mal lieber zu den Vorteilen über, sonst kauft sich keiner von euch ein Stativ 😉

Wo Schatten ist (in dem man übrigens lange Belcihtungszeiten braucht), ist auch Licht:

Ein gutes Dreibeinstativ hat folgende Vorteile:

  • durch das Aufbauen und Einstellen verhilft es zu einem bewußterem und exakterem Bildaufbau
    • besonders dann, wenn man gerne mit LiveView arbeitet
    • besonders dann, wenn man die Kamera präzise ausrichten muss, z.B. auf einen Horizont, ein Gebäude oder bei Makro-Fotos usw.
    • es unterscheidet das geknipste Bild vom fotografierten (ja, das musste sein)
  • Freie Auswahl bei der Blende und der Schärfentiefe, weil die Belichtungszeit – zumindest bei statischen Motiven – auf dem Stativ keine Rolle mehr spielt
  • es erleichtert den Umgang mit Filtern: Polfilter oder Graufilter oder Verlauffilter… oder alle zusammen
  • es stabilisiert das Kamerasystem, insbesondere bei kritischen Belichtungszeiten < 1/50 Sekunde
    • bei Teleobjektiven ist jede Verschlusszeit kritisch
  • es entlastet die Arme, z.B. wenn man auf das richtige Licht warten muss
  • es trägt zum entspannenden Faktor des Hobbys Fotografie bei, indem es das Tempo heraus nimmt, die Fotografie „entschleunigt“

Der Mensch hat nur zwei Hände. Und mit denen kann man auch nicht alles gleichzeitig machen bzw. nicht alles gleichzeitig und perfekt. Mit dem Stativ kann man zuerst gemütlich den Ausschnitt wählen, dann die Belichtung messen (auch mit Graukarte oder Spotmessung), Weissabgleich machen, Filter einsetzen, ggfs. kombinieren. Und so weiter. Und irgendwann dann auch mal das Foto machen, versteht sich.

  • Gefällt einem bei einem freihand fotografierten Bild etwas nicht, und man will das Bild noch einmal machen – fängt man wieder bei null an
  • Der Stativfotograf weiss i.d.R. wie das Bild aussehen wird, bevor er auf den Auslöser drückt. Will er etwas am Bild ändern, kann er gleich an der Stelle weitermachen, an der er vorher aufgehört hat

Im verhältnismässig gut sortierten Elektronik-Fachmarkt des Vertrauens (alias Kistenschieber) hat man in der Regel die Auswahl zwischen zwei Stativen: Eins, das wirklich niemand freiwillig kaufen würde und eins, das das kleinere Übel ist, 70,- € kostet und trotzdem nichtmal ein durchschnittliches Wurstbrot stabil halten könnte.

Das beschriebene Exemplar (Stichwort Wurstbrot) hat leider nur einen Zweck: Die Kassen des Herstellers und die des Händlers zu füllen. Gar kein Stativ zu verwenden ist nicht viel besser oder schlechter, als so ein Stativ zu verwenden. Wer aber die Vorzüge eines Stativs zu schätzen weiss, sieht im Regelfall zu, dass er diesen Müll schnellstmöglich losbekommt und verbucht den Verlust als Lehrgeld.


Charakteristische Merkmale eines Schrottstativs:

  • es besteht aus Aluminium und Plastik, und nur daraus
  • die Beinklemmen nicht nachgezogen werden (ja, die leiern sich aus)
  • der letzte Auszug eines Stativbeins hat einen Querschnitt von unter 1,5 cm
  • es hat i.d.R. einen fest integrierten Neigekopf bzw. Universalkopf mit zu vielen Plastikteilen
    • dieser hat meistens einen langen Plastikdrehgriff zum Fixieren
    • letzterer verstellt sich grundsätzlich nach dem Loslassen des fixiert geglaubten Drehgriffs
    • spätestens wenn es darum geht, die Kamera ins Hochformat zu klappen/neigen, ist Stabilität ein Fremdwort
  • oft bekommt man es mit einem Abo einer Fotozeitschrift geschenkt

Geschenkt. Das ist das Stichwort. Was bekommt man schon nützliches bei Zeitschriftenabos geschenkt? CD-Player, die bei jeder zweiten CD hängen, „hochwertige“ Schlüsselanhänger, die in den ungünstigsten Momenten aufgehen; Radiowecker die genau dann nicht funktionieren, wenn man keinesfalls den Flug auf die Malediven verpassen darf… und eben Stative, die derart klapprig sind, dass ihnen ein pflichtbewusstes Stativ gerne über die Strasse helfen würde.

DigitalRevTV hat hierzu einen Youtube-Clip hochgeladen. Nicht jedes Stativ wird im fotografischen Alltag mit Fußbällen beschossen, aber man sieht in etwa woran man bei einem Billigstativ ist:

Mal abgesehen von der Stabilität während der Belichtung sollte man nie vergessen, dass man seinem Stativ die gesamte darauf montierte Fotoausrüstung praktisch blind anvertraut.
Ein Sturz aus einem oder zwei Metern hat noch keinem Objektiv und keiner Kamera gut getan.

Grundsätzliches:
Wie auch am Arbeitsplatz, sollte man immer auf eine gewisse Ergonomie achten. Ein Stativ sollte in der Lage sein, den Sucher der Kamera auf Augenhöhe des Fotografen zu bringen. Niemand will sich für jedes Foto bücken müssen, wenn es die Perspektive nicht verlangt.
Der Stativkopf ist meistens min. 10 cm hoch, der Sucher liegt i.d.R. 8 bis 15 cm über dem Kameraboden, und die Augen ca. auf einer Höhe von 10-13 cm unterhalb der Körpergrösse des Fotografen. Man sollte also darauf achten, dass sich das Stativ mindestens bis zu einer Aufbauhöhe ausziehen lässt, die ca. 25 cm unter der eigenen Körpergrösse lieget, z.B. 145 cm bei 170 cm Körpergrösse, 155 cm bei 180cm Körpergrösse etc. Eine ausgezogene Mittelsäule sollte man entweder hier nicht mit einrechnen, oder von vornherein als Kompromiss betrachten.

Nun zu den verschiedenen Preisklassen und Baumaterialien:

Ideal für Gelegenheitsnutzer:
Ohne konkrete Empfehlungen dafür auszusprechen… spreche ich sie trotzdem aus. Mit Alu-Stativen von Herstellern wie Giottos oder Manfrotto dürfte ein Gelegenheits-Stativbenutzer recht gut bedient sein. Für das Stativ selbst sollte man mindestens 100,- Euro, für den Stativkopf 80,- Euro aufwärts einrechnen.

Sehr gute Universallösung:
Viel Stabilität fürs Geld bekommt man mit einem Holzstativ z.B. von Berlebach. Holzstative sind etwas sperriger und schwerer, dafür stabiler als ihre Kollegen aus Aluminium, tragen deutlich mehr Gewicht, ausserdem fangen sie Vibrationen (z.B. Spiegelschlag) besser ab. Ersatzteile sind aufgrund der recht einfachen Konstruktion leichter zu beschaffen. Man kann lange mit ihnen planen. Nicht ohne Grund werden die Stative v. a. bei Amateurfotografen wieder beliebter. Kostenpunkt ist in der Regel zwischen 150,- und 200,- € plus Stativkopf – diesen bitte nicht aus Holz ;-). Für Flugreisen sollte man allerdings lieber zusätzlich ein günstigeres Stativ zusätzlich in petto haben oder gleich einen Schritt weiter gehen…

Luxusklasse:
Wer ohne Stativ kaum mehr aus dem Haus geht, hat nicht selten ein Gitzo unter dem Arm bzw. über der Schulter dabei. Gitzo hat sowohl Alu- als auch Carbon- und Basaltstative im Angebot. Die letzteren beiden sind auf hohe Belastbarkeit (unverwüstlich!) bei geringem Gewicht ausgelegt. Schwingungen werden fast so gut wie von einem Holzstativ gedämpft. Zudem wird Zubehör für fast jeden Bedarf angeboten: Von Spikes in verschiedenen Längen bis zu „Schneeschuhen“ für die Stativbeine; Mittelsäulen mit oder ohne Getriebe in verschiedenen Längen, für manche Stative ohne Mittelsäule sogar nachrüstbar.
Dafür muss der Geldbeutel ein ordentliches Stück weiter geöffnet werden: ab 300,- € geht es los, das „Durchschnitts-Gitzo“ kostet i.d.R. 500,- € aufwärts. Stativkopf nicht inklusive. Für den kann man die selbe Summe drauflegen, wenn man es denn kann und will.

Overkill:
Auch das ist noch steigerungsfähig. Wer oft mit lichtstarken Superteleobjektiven unterwegs ist, denkt vielleicht in der einen oder anderen schlaflosen Nacht an ein Sachtler-Stativ. Da sich die Preise allerdings im vierstelligen Bereich bewegen, gehe ich nicht näher darauf ein. Wer das letzte Stativ in seinem Leben kaufen will, soll danach googeln 😉

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Stativkopf. Hier reicht die Spanne ebenfalls von zwei- bis vierstelligen Beträgen. Weiterhin gibt es noch verschiedenste Arten von Köpfen: Videoneiger, 3D-Neiger, Kugelköpfe, Getriebeköpfe, Panoramaköpfe. Entscheiden Sie selbst, womit Sie am besten klarkommen. Suchen Sie ein Fotogeschäft auf, keinen Kistenschieber. Das Ausprobieren vor Ort kann kein Artikel im Internet ersetzen!

Auf einem Bein kann man nicht stehen?
Wenn Flexibilität im Vordergrund steht, kann ein Einbeinstativ gute Dienste leisten. Es ist leichter, es ist schneller einsatzbereit (im Vergleich zum Dreibeinstativ muss nur ein Drittel der Beine ausgezogen werden). Und es ist ein Kompromiss, den z.B. Sportfotografen eingehen müssen. Gäbe es nur Dreibeinstative auf dieser Welt, dann gäbe es wohl kein einziges Foto von Fußballspielern wie Lionel Messi oder Arjen Robben 😉

Fazit:

Beim Stativ wird leider allzu oft gespart. Witzig, dass viele Hobbyfotografen ein Vermögen für Objektive ausgeben, deren Schärfeleistung bestenfalls auf einem 90x60cm-Ausdruck bei genauem Hinsehen von der eines Objektivs um den halben Preis zu unterscheiden ist… die teuer erkaufe Mehrleistung dann aber verschenken, indem sie das falsche Stativ oder gleich garkeins verwenden.
Auch Bildstabilisatoren können ein Stativ nicht vollständig ersetzen, sie geben dem Fotografen lediglich ein bisschen mehr Spielraum bei der Belichtungszeit, bevor er definitiv zum Stativ greifen muss.

Stabilitätstest beim Stativkauf: Alle Stativbeine bis zum Anschlag ausziehen und dann etwas am Stativkopf wackeln (Drehbewegung). Dann weiss man in etwa woran man ist. Und daran denken, dass die Fotoausrüstung evtl. Zuwachs bekommen könnte. Also das Stativ immer eine Stufe höher als das einplanen, was man derzeit zu brauchen glaubt.

Geld sparen beim Stativkauf: Wer gleich das richtige kauft, spart sich den Kauf beim zweiten Mal.