Bei der „Farbe“ grau denkt man zumindest unbewußt an eine triste Szenerie. Schwer vorstellbar, dass man gerade mit einem Graufilter vielen Aufnahmen das gewisse Etwas einhauchen kann. Warum ein ND-Filter keinesfalls eine graue Maus ist und in jeder Fototasche vorhanden sein sollte.

Was ist ein Graufilter?

Ein Graufilter ist eine abgedunkelte Scheibe aus Glas oder Kunststoff, die beim Fotografieren vor das Objektiv geschraubt/gesteckt wird. Dadurch wird das auf den Sensor bzw. den Film einfallende Licht über die gesamte Bildfläche gleichmäßig reduziert, vergleichbar einer Sonnenbrille vor dem menschlichen Auge. Graufilter sind auch als Neutraldichtefilter oder ND-Filter bekannt (im Englischen: Neutral Density), und beeinflussen im Idealfall die Farbwiedergabe eben nicht. Zusätzlich gibt es Grauverlauffilter (auch Verlauffilter, graduated ND oder ND-Grad genannt), auf diese will ich jedoch der Einfachheit halber dieses Mal nicht näher eingehen. Ja, das Kind hat schrecklich viele Namen und noch mehr Geschwister.

Ziel eines ND-Filters ist, mit dem geringeren einfallenden Licht entweder größere Blenden oder längere Belichtungszeiten nutzen zu können, wenn sich die ISO nicht weiter herunterschrauben lässt. Hier ein paar Anwendungsbeispiele:

  • Wenn große Blenden mit viel Licht eingesetzt werden sollen, um das Motiv vom Hintergrund freizustellen
    (Portraitshooting mit f/1.2 bei strahlendem Sonnenschein)
  • Bei Mitziehaufnahmen
    (Motor-/Sportfotografie)
  • Aufnahmen der Sonne, ohne gleich das eigene Auge zu brutzeln – bitte starke Filter verwenden!
    (Sonnenflecken, Sonnenfinsternis)
  • Orte sollen menschen-/autofrei fotografiert werden – schöne Grüße vom Stativ
    (Königssee ohne einen einzigen Touristen im Bild)
  • Seidig-glattgebügeltes Wasser soll sich wie ein Schleier über ein Landschaftsfoto legen und es beruhigen, siehe Titelbild… und ihr ahnt es schon: Stativ, Stativ, Stativ!
    (Wasserfall, Fluss/Bach, Meeresbrandung)

Welche Graufilter machen für welche Anwendung Sinn?
Werfen wir doch mal einen Blick auf die Umrechnungstabelle:

ND Durchlässigkeit Multiplikator für Verschlusszeit Anzahl Blendenstufen
ohne ND-Filter 100 % 1 0
0,3 50 % 2 1
0,6 25 % 4 2
0,9 12,5 % 8 3
1,2 6,25 % 16 4
1,8 1,56 % 64 6
2,0 1,0% 100 6,6
3,0 0,1% 1.000 10

ND 0,3 – 0,9: Eignen sich eher für Sport- oder Portraitfotografen, die mit zu viel Licht zu kämpfen haben; viel zu viel Licht gibt es bei diesen Anwendungsgebieten kaum, weshalb stärkere Filter eher schaden als nutzen.

ND 1,2 – 1,8: Hier gehts für die Landschafts- und oft auch Architekturfotografie los. Wer zusätzlich mit Polfilter fotografiert (schluckt zusätzlich 2 – 2,5 Blendenstufen), ist vielleicht mit einem ND 1,2 besser dran. Ich persönlich setze am liebsten einen ND 1,8 ein. Ist wohl Geschmackssache. Stativ ist ein Muss!

ND 2,0 – 3,0: Die Belichtungszeit wird verhundert- bzw. vertausendfacht. Solange etwas/jemand im Bild nicht länger an der selben Stelle verbleibt, wird es/er darauf nicht oder nur schwach zu sehen sein. Die Belichtungszeiten können schonmal im Bereich mehrerer Minuten liegen. Hier sollte man Zeit mitbringen. Viel Zeit, die sich allerdings lohnen kann. Und noch mehr Geduld… nicht nur bei der Belichtungszeit. Abstriche bei der Farbwiedergabe sind hinzunehmen: meine bisherigen ND 3,0 Filter (Hitech Pro Stop, Lee Big Stopper) hatten allesamt nicht nur einen sehr starken Cyan-Stich, sie haben auch ordentlich Infrarot-Strahlung durchgelassen, was zu rötlichen Farbstichen an im Bild befindlichem Blattwerk führte. Der Cyan-Stich lässt sich in der RAW-Bearbeitung korrigieren, das Infrarot-Problem leider nicht ohne zusätzliche Sperrfilter. Derzeit teste ich zwei Haida-Filter, die im Netz über den grünen Klee gelobt wwerden – mal schaun, ob der grüne Klee auch infrarot auf den Bildern leuchtet. Ohne Stativ, ohne Erfolg… die bei diesen Filtern entstehenden Zeiten hält man erst aus der Hand, sobald man zu Stein erstarrt ist!

Vorgehensweise beim einsatz von Graufiltern:

Portrait- und Mietziehaufnahmen außen vor gelassen – hier bleibt beim Handling fast alles beim alten – empfehle ich beim Einsatz von Graufiltern…

… folgende Ausrüstung (neben dem Offensichtlichen: Kamera, Objektiv, Graufilter):

  • Stativ
  • Kabel-/Fernauslöser
  • Smartphone-App zur Umrechnung der Belichtungszeit oder Belcihtungstabelle
    (z.B. ND Calc für Android, NDTimer für iOS)

… und folgende Vorgehensweise:

  • Stativ aufbauen, Kamera befestigen
  • Bildausschnitt wählen, Bildstabilisator ausschalten
  • fokussieren, anschließend auf manuellen Fokus umstellen
    ab jetzt: Finger weg vom Fokusring!
  • optional: Live View aktivieren
  • prüfen, ob die ISO auf einem niedrigen Wert (100) eingestellt ist
  • Belichtung messen, Belichtungszeit notieren
  • Belichtungszeit in die App eingeben oder anhand o.g. Tabelle ausrechnen; manchen Filtern liegt auch eine Tabelle bei
  • spätestens jetzt auf manuelle Belichtung (<30 Sek.) oder Bulb (>30 Sek.) stellen und die Werte aus der App/Tabelle berücksichtigen
  • Filter aufstecken/-schrauben
  • falls LiveView nicht vorhanden: Spiegelvorauslösung / Spiegelverriegelung aktivieren
  • mit dem Fernauslöser auslösen

    • Falls kein Funk-/Kabelauslöser vorhanden ist, den timer der Kamera nutzen, möglichst in Verbindung mit der Spiegelvorauslösung
    • Bei Bulb immer die Belichtungszeit im Auge behalten, falls kein Timer-Auslöser verwendet wird
Meiner Meinung nach gehören zwei oder drei Graufilter in die Tasche jedes bewußt Fotografierenden. Oft haben nicht alle Objektive das selbe Filtergewinde. In diesem Fall empfehle ich, je nach Ausrüstung, einen preisgünstigen Halter für Einsteckfilter. Unter 72mm bzw. 77mm (ohne Superweitwinkel) Filtergewinde reicht in der Regel ein 85mm-System aus, darüber sollte man auf 100mm breite Einsteckfilter zurückgreifen.